Oh my deer!


Vergeßt Schwarz-Weiß-Denken, das bringt nur Kopfschmerzen. Wir sehen in Japan immer wieder, wie zwei völlig gegensetzliche Dinge neben einander akzeptiert werden können, sogar mit dem Beglaubigungsstempel “Traditions-geprüft” versehen. Wir erzählen ein wenig von Hirschen oder auf Englisch “Deer”. Das klingt übrigens genau so wie “Dear” und verleitete daher zur Überschrift auf Englisch “Ach du liebe Güte”. Aber weiter im Text.

Aktuell sind wir in Nara. Dort haben Shika-Hirsche, die sind in etwa so klein wie Damwild, freie Bahn. Etwas über 1000 laufen in Parks herum oder gemütlich über die Straße. Es gibt auch spezielle Kekse, die Spendierhosen-tragende Touristen gern verfüttern. Es ist aber auch Okay, in Ruhe an den wilden (!) Tieren vorbeizugehen. Sie sind ohnehin verwöhnt bis in die Geweihspitzen. Nicht ganz, den die Geweihe werden spätestens nach einem Jahr abgeraspelt. Natürlich in einer speziellen Zeremonie und vom Hauptpriester höchstpersönlich.

Die Hirsche werden schon seit Jahrhunderten geehrt. Sie sind die Boten und Reittiere des Gottes Takemikazuchi. Er ist der Beschützer von Nara, eine der wichtigen historischen Hauptstädte Japans, und des Familienklans der Fujiwara. Letztere haben die Geschicke Japans über die Jahrhunderte gelenkt, bis der Genpei-Krieg im Jahr 1180 ausbracht. Und hier gibt es einen kleinen Seiteneinschub.

Ein großes Epos von Japan – die Erzählungen des Heike-Klans – beginnt mit dem Einläuten des Niedergangs der Fujiwara. Da es sich aus unserer Sicht um einen der poetischsten Starts in die Katastrophe handelt, müssen wir eben mal den Beginn der Erzählung wiedergeben:

Das Läuten der Tempelglocke von Jetavana verkündet die Unbeständigkeit aller weltlichen Dinge, und die Farbe der Salbaumblüten offenbart das unvermeidliche Schwinden jener, die sich erfolgreich entfalten. Nicht lange währen die Hochmütigen, es gleicht dem Traum einer Frühlingsnacht, und auch die Kühnen vergehen letztendlich wie der Staub vor dem Wind.

Ein Schelm, wer dabei an einen Ex-Finanzminister denkt. So, zurück zur Hirschgeschichte. In Nara jedenfalls vergöttert man Rehe sozusagen. Und so ist es kein Wunder, dass die Stadt auch offiziell mit einem Rehmaskottchen namens Sento-Kid wirbt. Die einen mögens, die anderen finden es respektlos, da es sich um einen niedlichen Mönch mit Rehgeweih handelt. Neben Sento-Kid gibt es noch ein Mangamädchen namens Nanaka mit Rehmützchen. Sie füllt den offiziellen Youtube-Kanal der Stadt. Das Video ist allerliebst. Mal abgesehen vom Ohrwurm, wird jeder aufgefordert, doch bitte keinen Müll rumliegen zu lassen, weil die Rehe ihn sonst mitnehmen könnten.

Nara vergöttert Hirsche – Die zwei niedlichen Zeitgenossen machen Werbung für die Stadt.

Aber kommen wir allmählich zum versprochenen Gegensatz. Es war tatsächlich ein Schock. Wer also lieber hier aufhören möchte zu lesen, sollte das tun. Es ist nix für schwache Nerven!

Eines schönen Oktobertages geht es in Richtung Berge. Wir sind in Chino, ein Örtchen in den japanischen Alpen.

Eines schönen Oktobertages spazierten wir in dem Örtchen Chino, so einfach der Nase nach zum Stadtrand auf eine Bergkette zu. Dort war es nun wirklich sehr idyllisch. Mit gestoppelten Reisfeldern, orange-leuchtenden Persimon-Bäumen und ein paar hübschen, alten Holzhäuschen. Eines davon entpuppte sich als berühmtes Bauwerk des Architekten Fujimori Terunobu. Der ist Professor in Tokyo und hat auch eine eigene Wikipedia-Seite, wenn jemand neugierig ist. Er hat auch das ungewöhnliche Teehaus (siehe Bild) entworfen. Eine Bierstube wäre ja wohl kaum so in der Luft schwingend genehmigt worden.

Teestube in den Lüften. Bestimmt toll – nur wie kommt man rein und raus?

Besagtes Holzgebäude jedenfalls beherrbergte ein kleines Museum über den lokalen Suwa-Schrein. Es ist einer der ältesten Schreine Japan aus 7. Jahrhundert. Schreine gehören zum Shintoismus, einer Natur-Religion, und man verehrt eben zum Beispiel wie in Nara Rehe, aber auch Berge, Bäume oder besondere Steine. Wie immer werden wir überrascht, wenn wir so herumlaufen und zum Beispiel ein Museum entdecken. Es war winzig, nur ein Raum. Er war der Jagd gewidmet. Und so gab es auch einen Altar und der war auf gewisse Weise auch einem Hirsch gewidmet, aber es fällt uns schwer, die Hingabe mit Vergötterung zu bezeichnen. Von einem Extrem zum Anderen!

Das idyllische Holzhaus ist ein Museum, das dem lokalen Schrein gewidmet. Klein, aber – oh, my deer!

ACHTUNG – NIX FÜR ZARTE NERVEN! Die anderen können klicken und rollern.

http://www.komainu.org/nagano/chinosi/MishagujiSousha/siryoukan.html


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