Dieser Eintrag wird sich komisch lesen, denn es handelt sich um einen Spickzettel. Wir haben heute die Ingenieursfakultät an der Universität Vancouver besucht und am Samstag die IT. Terje hatte uns eingeladen und da sagen wir natürlich nicht nein. Zunächst war alles normal, inklusive vollgestopftem Bus, weil viel zu wenige Busse für die 100 000 Studenten (ja, keine Null zu viel!), die zum Campus wollen, gab. Derjenige welche ist riesig, wohl der größte, den wir bislang so gesehen haben. Eine Stadt in sich, am Meer gelegen, mit Schwimmwettkampfhallte, Strand, Wald, Parks, Museen von Weltrang und wirklich vielen Gebäuden. Der Kurskoordinator ist angehalten, Kurse nicht weiter als 15 min von einander entfernt zu legen, da sonst alle ständig zu spät kommen würden. Warum nicht einfach möglichst alle Kurse im selben Raum oder Gebäude stattfinden, wundert alle. Wahrscheinlich wäre da AI-Optimierung besser. Oder man legt wert darauf, dass die Studenten auch die Hintern bewegen (die Lehrkörper natürlich auch).
Vom Bus dann zum Gebäude, wir mußten Raum 2014 finden. Das war ein Puzzle mit Rost-Hütte, Skywalk, Riesenbaustelle und Cafe-Aufenthalt, was aber in 20 min gelöst werden konnte. Online-Trainings in trauter Runde sei Dank! Was auffiel, ist, dass die Studenten jede Möglichkeit nutzen, um an irgend etwas zu arbeiten. Alle Tische besetzt. Es war überhaupt sehr geschäftig in dem Gebäude brutalistischen Stils von außen, aber nordischer Hyggelichkeit von Innen.
Was für Fakten haben wir so vernommen? Das Semester ist relativ kurz, umfasst nur 13 Wochen, wie in den USA. Es gibt 6 Kurse parallel, womit die Studenten Vollzeit ausgelastet sind. Im ersten Studenjahr, studieren alle zusammen, Klassen bis 250 Studenten kommen vor. Meist sind es 35-50. Es gibt 2 Kernvorlesungen und 4 Wahlvorlesungen, wobei man nach 6 Wochen noch wechseln kann, wie es einem passt und ohne den verpassten Anteil aufholen zu müssen (spätestens in der Prüfung ist aber Zahltag). Viele haben eine Zwischenprüfung und eine Endprüfung. Die Note ergibt sich auch verschiedenen Anteilen, je nach Lehrendengeschmack. Beispielsweise 10% für Anweisenheit, wobei sich der Lehrende auch Notizen macht, ob die Studenten nicht nur da, sondern auch dabei sind. Nur negatives wird aufgeschrieben. Interessant war auch, mitdenken zu bepunkten: bis ein paar Stunden nach Seminarschluss kann man noch online eine Antwort auf die Kurspassierenlassenfrage geben. Man kann +1 (gut gemacht) 0 (nicht gemacht) und -1 (Konzept nicht geschnallt) erhalten. Das macht dann bei wöchentlich 2 Veranstaltungen über 13 Wochen ca. 26 Punkte. Das kann schon reinhauen! Beides ist gar nicht blöd, vor allem da wir feststellen, dass die Mehrheit der Studenten nicht kommen will und sich auch beschweren, wenn man eine Veranstaltung obligatorisch macht. So zwingt man sie zu ihrem eigenen Glück. Solange man sicher stellt, dass auch Alleinstudierer noch eine Eins bekommen können (gibt ja wenigige, die das wirklich besser so machen), ist ja auch alles fair.
Die Hälfte der Studenten kommt aus der Arbeitswelt, um an den Graduiertenkursen teilzunehmen. Diese mit Frisch-Studenten zusammenzutun ist möglich, aber nicht reibungslos. Die ersteren wollen halt klar auf Praxis zugeschnittene Sachen haben. Dagegen freien Dokoranden sich über Theoriesachen.
Die Art, wie wir inzwischen unterrichten – nämlich der umgekippte Klassenraum – wird kaum ausprobiert. Bei uns müssen die Studenten erst selbst sich den Inhalt der Vorlesung erarbeiten. Dafür bekommen sie Videos von uns mit kleinen Quizzes oder Aufgaben. Damit kommen sie dann zum Seminar, dass länger und ausführlicher ist als Übungen sonst waren. Dort beschäftigen sie sich nochmals unter Anleitung mit dem Vorlesungsstoff und müssen ihn in komplexen Problemen anwenden. Wir als Lehrende wirken da als Trainer. Eine Kollegin versuchte hier diese Art des neuen Unterrichts, bekam aber sofort die Quittung von den Studenten, dass sie die faulste Lehrende aller Zeiten sei. Haha – gute Vidoes erstellen, ist elende viele Arbeit. Ihre Einschätzung war aber, dass die, die einen Kurs nicht mögen, die Kritik auch äußern in den Umfragen. Dagegen halten die, die ihn mochten, sich zurück. Kennen wir.
Je höher die Kurse, desto mehr Ausländer nehmen teil. Diese hoffen auf eine Erlaubnis für einen ständigen Aufenthalt in Kanada, was die Vorraussetzung für die Einbürgerung ist. Kanada hat Studiengebühren – ein Semester kostet ca. 20 000 Euro. Ausländer zahlen das Doppelte. Die, die die Eintrittsprüfungen nicht schaffen, werden für 9 Monate in Wiederholungs-, Sprach- und Vorbereitungskursen geparkt (kosten auch). Die meisten studieren letzendlich länger, statt z.B. 16 Monate für den Master, dann eben noch ein paar Monate länger.
Morgen gehen wir in 2 Lehrveranstaltungen hospitieren. Mal sehn, wie das wird.